Am Earth Day 2025 wurden die 19 Nationalen Champions des Frontiers Planet Prize bekannt gegeben, ein weltweit bedeutender Forschungspreis für Nachhaltigkeit. Robert Arlinghaus, Fischereiprofessor am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) und an der Humboldt Universität zu Berlin, und sein Team werden für ihre wegweisende Publikation aus dem Jahre 2023 in der Fachzeitschrift Science über die Wirksamkeit der ökologischen Aufwertung von Gewässern auf die Fischbestände gewürdigt. Prof. Dr. Thomas Klefoth von der Hochschule Bremen (HSB), Teil des gewürdigten Studien-Teams zur Förderung der Fischbestände in Gewässern, hat das zugrunde liegende Forschungs- und Umsetzungsprojekt BAGGERSEE zusammen mit Prof. Dr. Robert Arlinghaus initiiert. Als damaliger Fischereibiologe des Anglerverbands Niedersachsen e.V. (AVN) hat Prof. Dr. Klefoth die Umsetzungsmaßnahmen koordiniert. Die HSB ist offizieller Partner des Projekts.
Professor Jean-Claude Burgelman, Direktor des Frontiers Planet Prize, sagte: „Angesichts der immensen Bedrohungen für die Menschen und den Planeten brauchen wir mutige, transformative Lösungen, die sich auf Fakten stützen und wissenschaftlich fundiert sind. Innovative und skalierbare Lösungen sind der einzige Weg, um ein gesundes Leben auf einem gesunden Planeten zu gewährleisten.“
Eine dieser Lösungen, die zur Kategorie „Naturbasierte Lösungen und Wiederherstellung von Ökosystemen“ gehört, ist in der wissenschaftlichen Studie von Prof. Dr. Robert Arlinghaus und seinem Team beschrieben: Die Revitalisierung von Seen durch die Schaffung von Flachwasserzonen und das Einbringen von Totholz. Weltweit werden Millionen von Fischen in Gewässer ausgesetzt, um die natürlichen Fischbestände zu stärken. Dass diese Praxis nicht immer erfolgreich ist und wie es besser geht, zeigt die in der Fachzeitschrift Science2023 erschienene Studie. Die Besonderheit der Studie von Arlinghaus und seinem Team ist unter anderem die enge Verbindung von Forschung und Anwendung und die Durchführung von wiederholten Experimenten auf der Ebene ganzer Seen.
Süßwasserfische gehören zu den am stärksten gefährdeten Wirbeltieren weltweit. In Deutschland beispielsweise gilt gemäß der Roten Liste der Süßwasserfische jede zweite Art als gefährdet. Einer der Hauptgründe ist der Verlust an angemessenem Lebensraum. Fischrückgänge haben weitreichende Folgen für die Gewässer sowie die Binnen- und Angelfischerei. Wirksame Erhaltungs- und Wiederherstellungsmaßnahmen sind erforderlich, um diesen Rückgang umzukehren.
„Es freut mich, dass die wissenschaftliche Arbeit von unserem Team diese renommierte Auszeichnung erhält und so die ökologisch nachhaltige Gewässerbewirtschaftung weitere wichtige Aufmerksamkeit erfährt“, so Prof. Dr. Thomas Klefoth von der HSB über die Preisvergabe.
Das Forschungsteam hat in einem Vorher-Nachher-Kontroll-Experiment über sechs Jahre in 20 Seen verglichen, wie sich das Aussetzen von Fischen und die Aufwertung der Lebensräume auf die Fischbestände auswirken. „Das war ein einzigartiger Freilandversuch, in dem wir in enger Zusammenarbeit mit der Angelpraxis auf der Ebene des gesamten Ökosystems mit verschiedenen Bewirtschaftungsvarianten experimentiert haben. So ein großes, wiederholtes und vor allem kontrolliertes Ganzseeexperiment gab es in dieser Form bisher nicht“, erläutert Professor Robert Arlinghaus.
„Über einen Zeitraum von sechs Jahren wurden rund 160.000 Fische und viele andere Tierarten vor und nach Maßnahmendurchführung beprobt, um zu untersuchen, wie die jeweiligen Organismengruppen auf die Schaffung von Lebensräumen oder das Einsetzen von insgesamt 40.000 einzeln markierten Fischen reagieren“, ergänzt der Erstautor der Studie, Prof. Dr. Johannes Radinger, ehemaliger Wissenschaftler der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Arlinghaus und jetzt Professor an der Hochschule Magdeburg-Stendal. „Die Studie zeigte, dass ein ökosystembasiertes Management, insbesondere die Schaffung von Flachwasserzonen, den Fischbestand in den Seen und die Reproduktion von Fischen nachhaltig erhöhte und auch die Vielfalt anderer Organismengruppen wie Libellen oder Wasserpflanzen förderte“, erläutert Dr. Sven Matern, geteilter Erstautor der ausgezeichneten Studie und ehemaliger Doktorand von Arlinghaus. Die im Fischschutz gängige Praxis des Fischbesatzes, an der viele Angelvereine aber auch andere Naturschutzakteure weltweit häufig festhalten, ist in dem Versuch hingegen fehlgeschlagen. Das Einbringen von Totholz als Strukturelement zeigte gewässerspezifisch und artabhängig positive Effekte auf Fische und andere Organismen, war aber gegenüber der Schaffung von Flachwasserzonen weniger erfolgreich.
„Ein vielversprechender Ansatz ist das ökosystembasierte Management, das darauf abzielt, wichtige ökologische Prozesse, Lebensräume und Beziehungen zwischen Arten zu verbessern oder wiederherzustellen, anstatt sich auf die Beseitigung einzelner Stressoren oder die Unterstützung einzelner Arten nur über Fischbesatz zu konzentrieren“, sagt Robert Arlinghaus. Dieser umfassende Ansatz ist jedoch oft kostspielig und mit hohen bürokratischen Hürden verbunden. Politische Entscheidungsträger zögern daher, in ökosystembasiertes Management zu investieren, solange es keine soliden wissenschaftlichen Belege für seine Wirksamkeit gibt. „Mit unserer großen experimentellen Feldstudie, die auch Kontrollgewässer einbezog und so belastbare Ergebnisse hervorbrachte, haben wir die Erfolgsaussicht ökosystem-bezogener Maßnahmen nun auf eine wissenschaftliche Grundlage gestellt. Zentral ist, dass die Verbesserung der Ökosysteme die wichtigsten beschränkenden Habitate umfasst. In Baggerseen sind das Flachwasserzonen, in anderen Gewässertypen können aber auch andere Habitate wichtiger sein, wie z. B. die Wiederherstellung von Auen in Fließgewässern.“, erläutert Prof. Dr. Thomas Klefoth von der Hochschule Bremen, der die Studie zusammen mit Prof. Dr. Arlinghaus initiiert und den Praxisteil koordiniert hat.
Das vom Forschungs- und Umweltministerium in den Jahren 2016 bis 2022 finanzierte Forschungs- und Umsetzungsprojekt BAGGERSEE, das Grundlage der Science-Publikation war, wurde in enger Zusammenarbeit mit Dutzenden von Angelvereinen im Anglerverband Niedersachsen e.V. (AVN) durchgeführt. Hunderte Personen aus der Angelpraxis waren an der Umsetzung der Managementmaßnahmen und der Datenerhebung beteiligt. „Die Ergebnisse haben direkte Auswirkungen auf die Art und Weise, wie Angelvereine Seen bewirtschaften. Aktuell läuft ein Vermittlungsprojekt als Anschluss, in dem die Ergebnisse deutschlandweit an Angelvereine über die Projektvereine hinaus kommuniziert werden“, sagt HSB-Professor Dr. Thomas Klefoth. Das Vermittlungsprojekt „Angelgewässer: Skalierung innovativer und ökologisch nachhaltiger Methoden der Gewässerbewirtschaftung durch Angelvereine“ – kurz „AngelGewässer“ – läuft bis zum 30. April 2026 und wird von Thomas Klefoth geleitet. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.
Die Nationalen Champions für wissenschaftliche Durchbrüche im Bereich Nachhaltigkeit wurden von einer Jury aus 100 renommierten Nachhaltigkeitsforscher:innen weltweit unter Vorsitz von Professor Johan Rockström vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK) ausgewählt. Die Nationalen Champions werden nun in die Endrunde des Wettbewerbs einziehen, in der im Juni 2025 drei internationale Champions vorgestellt werden, die jeweils 1 Mio. USD für ihre weitere Forschung erhalten.
Viola Lechle
Öffentlichkeitsarbeit im Projekt AngelGewässer, Projektassistenz
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