Menschen, die fortschreitende, lebensverkürzende Erkrankungen mit mittlerer bis schwerer Symptomlast haben, brauchen eine besondere Begleitung. Sie ist teilweise hochkomplex und umfasst medizinische, pflegerische, soziale, psychologische und spirituelle Aspekte – also einen ganzheitlichen Ansatz. An der Hochschule Bremen (HSB) gibt es seit dem Sommersemester 2023 den internationalen Masterstudiengang Palliative Care. Alternativ können einzelne Seminare als berufsbegleitende Fort- und Weiterbildungsmaßnahme besucht werden, ohne immatrikuliert zu sein. Ein Interview mit der Leiterin Prof. Dr. Henrikje Stanze verdeutlich, warum der Studiengang für die Gesellschaft so wichtig ist und wie Ärzt:innen, Pflegefachpersonen und weitere gesundheitsbezogene und soziale Berufsgruppen, wie Soziale Arbeit, Seelsorge, Psychologie, Logopädie, Physiotherapie und weitere, davon profitieren.
Frau Stanze, es gibt Hochschulstudiengänge, die die Akademisierung im Gesundheitsbereich stärken sollen. Beispiele sind primärqualifizierende Pflegestudiengänge sowie Studiengänge in den Sozial- und Therapieberufen. Die HSB bietet genau diese Studiengänge im Bereich Pflege und Therapie an – sie war die erste Hochschule in Deutschland. Warum braucht es zusätzlich diesen speziellen Masterstudiengang Palliative Care?
Prof. Dr. Henrikje Stanze: Deutschlandweit gibt es einen steigenden Bedarf an Palliativversorgung. Insgesamt nehmen schwere Erkrankungen wie zum Beispiel Krebs-, Herz- und Lungenerkrankungen sowie neurodegenerative Erkrankungen wie Demenz zu. Hinzu kommt, dass viele Menschen nicht nur eine, sondern mehrere Erkrankungen gleichzeitig haben. Dann sprechen wir von Multimorbidität. Dies verdeutlicht, dass die palliative Versorgung und Behandlung in viel mehr Bereichen stattfindet und von viel mehr Berufsgruppen angewendet werden sollten, als es bislang praktiziert wird.
Betrifft dies nur Erwachsene oder auch Kinder und Jugendliche?
Es gibt einen allgemeinen und einen spezialisierten Ansatz in der Palliativversorgung: Für Menschen mit multimorbiden Erkrankungen greift häufiger ein allgemeiner palliativer Versorgungsansatz. Bei Menschen mit einer zum Beispiel fortgeschrittenen Krebserkrankung ist ein spezialisierter palliativer Versorgungsansatz sinnvoll. Bei beiden Ansätzen geht es um alle Menschen mit einer Multimorbidität oder einer lebenslimitierenden Erkrankung, die eine palliative oder hospizliche Behandlung und Versorgung benötigen – ob jung oder alt. Unsere Gesellschaft ist divers. Menschen bringen unterschiedliche Bedürfnisse mit, bei denen es wichtig ist, sich diesen diversitätssensibel zu widmen. So wird auch diskutiert, wie zum Beispiel queere Pflege und Medizin praktisch gelingen kann oder Menschen mit direkter Migrationserfahrung oder Menschen mit körperlich und geistigen Behinderungen in unserer Gesellschaft adäquat gesundheitlich begleitet werden können. Dies ist eine neue Aufgabe für viele Bereiche der Gesundheitsversorgung, auch für die Palliativversorgung.
Grundsätzlich bedarf es einer Weiterentwicklung der Versorgungsangebote mit evidenzbasierten Behandlungs- und Versorgungskonzepten, um neuste medizinische, pflegerische und weitere Erkenntnisse zu erhalten. Sie müssen zukünftig zu einer besseren, leitlinien- sowie standardgerechten und wissenschaftsbasierten palliativen Behandlung und Begleitung führen. Deshalb ist unser Studiengang so wichtig.
An wen richten sich Ihre Angebote?
Der dreisemestrige, weiterqualifizierende Master und unsere Seminare richten sich in erster Linie an Menschen, die bereits eine erste einschlägige Berufsqualifizierung haben, also vor allem an Ärzt:innen, Pflegefachpersonen, Sozialarbeiter:innen, Theolog:innen, Psycholog:innen und weitere Berufsgruppen, die im gesundheitlichen sowie sozialen Bereich arbeiten. Sie können sich bei uns entsprechend weiterbilden. Dank unserer hybriden Studienstruktur im Rahmen der Präsenzlehre sowie der Möglichkeit in eLearnings die Studieninhalte nachzuarbeiten, sind unsere Angebote auch berufsbegleitend machbar.
Ist der Studiengang kostenpflichtig?
Nein. Das Studienangebot ist konsekutiv, baut also auf einer ersten einschlägigen Berufsqualifikation auf – zum Beispiel dem internationalen Studiengang Pflege der HSB. Deshalb können Interessierte sich offiziell immatrikulieren und die Semestergebühren fallen unter die bundesweit geförderten Studienangebote. Auch Anerkennungen der Ärztekammer Bremen für sogenannte CME-Punkte sind in vielen Modulen gewährleistet. Fort- und Weiterbildungspunkte für professionell Pflegende nach SGB XI §11 können ebenfalls in vielen Modulen erworben werden.
Seit neuestem kann man auch einzelne Seminare bei Ihnen buchen, ohne das komplette Studium zu absolvieren und ohne immatrikuliert zu sein.
Ja, hier entstehen immer mehr Angebote, wie zum Beispiel das Kursangebot von der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) des 40-stündigen multiprofessionellen Basiscurriculums Palliative Care. Dies bieten wir im April 2024 erstmalig an. Aber auch zur Symptombehandlung werden wir in 2024 Module öffnen, die für viele Berufsgruppen interessant sein können und dies im Rahmen einer Weiterbildung absolvieren möchten. Da werden auch Fortbildungspunkte für die unterschiedlichen Berufsgruppen wie Ärzt:innen und Pflegefachpersonen erworben werden können.
Der Studiengang ist international. Wie zeigt sich das im Curriculum?
Wir haben gemeinsam mit unserer Partnerhochschule Hanze University of Applied Sciences Groningen eine Kooperation im Masterstudiengang „Healthy Aging“. In diesem Modul arbeiten die Studierenden aus den Studiengängen an themenübergreifenden gemeinsamen Projekten, die sie in einer Abschlusspräsentation vorstellen. Zudem haben wir renommierte Gastdozierende aus dem Ausland, die dank Online-Zuschaltung auch trotz weniger Zeitressourcen Vorträge für uns einrichten. Unser Bereich an der HSB ist sehr gut ausgestattet und kann im digitalen Zeitalter sehr vieles ermöglichen. Nicht zuletzt, weil wir eine aktive Konrektorin für Digitalisierung haben, die dafür sorgt.
Interessierte können sich noch bis zum 15. Oktober 2023 für den Studiengang Palliative Care an der Hochschule Bremen bewerben. Für die Seminare ist es möglich, sich bis vier Wochen vor Beginn anzumelden.