Interview mit Simone Buchholz. Psychologische Beratungsstelle Studierendenwerk Bremen
„Selbstfürsorge ist wichtig und nicht egoistisch“
Mit der Themenreihe Who cares? - Zukunftsperspektiven in einer instabilen Welt möchten wir Denkanstöße geben und gemeinsam überlegen, wie sich ein gutes Leben und eine bessere Welt gestalten lassen.
In den Who cares Interviews befragen wir Expertinnen und Experten der Hochschule Bremen und verwandter Einrichtungen. Unser erster Interviewgast ist Simone Buchholz von der Psychologischen Beratungsstelle des Studierendenwerks Bremen. Im Fokus: was brauchen Studierende, um mit Krisen und Herausforderungen - gerade in diesen Krisenzeiten - umgehen zu können.
Dr. Monika Blaschke
Leitung Career Service
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Viele Studierende befinden sich in einer Art „Zwischenzustand“: Die Folgen der Corona-Pandemie sind noch spürbar, insbesondere die sozialen. Teils resultieren auch psychische Belastungen aus dieser Zeit. Es wurden viele Anpassungsleistungen an die veränderte Situation erbracht. Dann folgte der Krieg in der Ukraine, manche Studierende machen sich Sorgen über die politische Entwicklung und über den Klimawandel. Es ist unterschiedlich, ob diese Themen eher als unangenehmes Hintergrundrauschen im Alltag verbleiben oder sich daraus ein hartnäckiges Grübeln entwickelt.
In der Sozialberatung werden finanzielle Nöte deutlich, auch vor dem Hintergrund der Inflation und der Energiekrise.
Sich viel mit der Zukunft zu befassen – das ist ein natürliches Thema in der Lebensphase Studium: Es werden viele Identitätsfragen während der Studienzeit bearbeitet, dabei ist Selbstentwicklung eine spannende, zugleich auch anstrengende Angelegenheit. Vieles ist – auch je nach Studienfach – noch offen: Wo will ich zukünftig leben und mit wem? Was ist mir persönlich wichtig? Wie wird meine berufliche Entwicklung aussehen? Welche Entscheidungsspielräume werde ich haben? Es ist noch eine Menge ungewiss, was die Zeit nach dem Studium betrifft und es ist nicht so leicht, es auszuhalten in der Schwebe und im Übergang zu sein.
Dabei kann es helfen, die eigenen Handlungsspielräume und Zugänge zur persönlichen Zukunft wahrzunehmen und mit diesen immer wieder positiv in Kontakt zu kommen (z.B. durch ein Praktikum, eine Recherche, Gespräche). Mitunter ist es auch sinnvoll, den inneren Kompass nicht andauernd zur Zukunft zu befragen.
Oft hilft es, die Unsicherheiten erst einmal anzunehmen und sie nicht zu ignorieren, sondern verstehen zu wollen, woher sie kommen. Es kann sich z.B. um Schwellenängste handeln (das Studium endet bald, ein neuer Lebensabschnitt kommt und das verunsichert berechtigterweise auch).
Der Blick auf die Zukunft als solcher kann gegenwärtig Unsicherheiten auslösen. Dadurch, dass die Welt in eine Krise geraten ist, wird ein wesentliches psychisches Grundbedürfnis nach Orientierung und Sicherheit beeinträchtigt. Denn es gelingt uns besser, uns selbstbestimmt zu fühlen und eigene Entscheidungen zu treffen, wenn Situationen versteh- und planbar sind.
Doch auch wenn sich z.B. die wirtschaftliche Entwicklung nicht genau voraussehen lässt, so ist es im jeweils individuellen Alltag doch möglich, Stabilität und Einschätzbarkeit in vielerlei Hinsicht zu unterstützen – z.B. durch wohltuende Routinen, Rituale und hilfreiche Strukturen. Vielleicht ist es der Sport oder das wöchentliche gemeinsame Kochen in der WG. Was gibt es jenseits der Unsicherheit, was tut mir gut? Selbstfürsorge ist wichtig und nicht egoistisch.
Angst ist ursprünglich dafür da, zu flüchten oder zu kämpfen – sie soll uns zu Höchstleistungen befähigen. Doch wenn die Angst ins Nichts führt, dann ist keine solche Handlung möglich und es ist unterstützend, aus dem alarmierten Zustand heraus zu kommen. Dabei können z.B. Achtsamkeitsübungen helfen oder die Konzentration auf eine ruhige Atmung, um das vegetative Nervensystem herunter zu fahren.
Auch wenn sich z.B. die Neuigkeiten rund um den Krieg in der Ukraine aufdrängen: Es ist sinnvoll, den Nachrichtenzufluss zu dosieren und die Kanäle auszuwählen – visuelle Eindrücke haben eine andere Kraft als Audiobeiträge. So können z.B. Kriegsbilder ein Stressempfinden auslösen, den Schlaf verschlechtern. Es geht nicht darum, den Kopf in den Sand zu stecken und die Außenwelt zu ignorieren. Doch der Tag darf mit einer positiven Wahrnehmung beginnen und auch enden. Sich dann z.B. einmal am Tag zu informieren und zu schauen, womit ich mich befassen will, kann helfen. Es gibt z.B. auch Podcasts zu Lösungen in der Krise.
Resilienz bedeutet psychische Widerstandsfähigkeit und sie hilft dabei, Krisen und Stress zu bewältigen, ohne psychischen Schaden zu nehmen. Resilienz ist jedoch kein Schutzschild, sondern eine Form der Aktivität. Dazu zählen bewusste Stressreduktion, die bereits genannte Selbstfürsorge, aber auch Netzwerkorientierung (Freundschaften und Kontakte pflegen).
Gut ist es auch, die eigene Selbstwirksamkeit zu unterstützen, indem ich mir meine eigenen Stärken und Kompetenzen bewusst mache: Wie habe ich in der Vergangenheit Krisen gemeistert? Die eigene Resilienz zu stärken, ist ein längerer Prozess, doch er lohnt sich.
Oft ist es gut, gemeinsam Qualitätszeiten zu planen, neben dem offenen Ohr für persönliche Sorgen. Dabei ist es dennoch wichtig, eigene Grenzen zu spüren (z.B. Druck, die Kriegssituation in ihrer gesamten Komplexität, auch für andere, zu verstehen) und ernst zu nehmen.
Wenn sich Sorgen um die Zukunft wiederholt aufdrängen, dann führt das im ersten Schritt oft dazu, dass Studierende sich im Freundeskreis austauschen oder die Belastung ihrer Familie mitteilen. Manchmal hilft es schon, sich nicht so sehr vereinzelt zu fühlen mit Ohnmachtsgefühlen und eventuell eine andere Perspektive zur eigenen Situation zu erlangen.
Es ist jedoch auch möglich, dass sich Studierende der Hochschule bei uns in der Psychologischen Beratungsstelle für ein Gespräch anmelden und wir gemeinsam ein tieferes Verstehen und passende Bewältigungsstrategien für die individuellen Herausforderungen erarbeiten. Für den Fall, dass die Ängste sich hartnäckiger halten, kann auch der Schritt in Richtung einer längeren Begleitung durch eine Psychotherapie angemessen sein