Wie setzt man Nachhaltigkeit konkret um? Was bedeutet das für den neuen Masterstudiengang INA der Fakultät 3, regionale und globale Politik und eine Institution wie die Hochschule selber? Was können Einzelne und Gruppen in diesem Feld bewegen? Was zählt und welche Kompetenzen sind erforderlich?
"Die Hochschule hat sich auf den Weg gemacht" findet Prof. Dr. Beate Zimpelmann im vierten Who Cares Interview.
Prof. Dr. Beate Zimpelmann ist Professorin für Politikmanagement an der Hochschule Bremen und leitet zusammen mit Prof. Dr. Winfried Osthorst den neuen Studiengang “interdisziplinäres Nachhaltigkeitsmanagement”, Master of Science, abgekürzt INA. Sie wurde gerade zur Vorsitzenden der Nachhaltigkeitskommission der Hochschule Bremen gewählt.
Ihre Arbeit umfasst viele Schwerpunkte. Eine davon ist die Bremer Klimapolitik, mit Prof. Dr. Osthorst hat sie beispielsweise die Arbeit der Enquete Kommission in Bremen begleitet. Sie ist verantwortlich für die Ringvorlesung “Facetten der Nachhaltigkeit” an der HSB, forscht zugleich zum Lieferkettengesetz und zum Thema Zeitpolitik und Arbeitszeitverkürzung.
Der Titel des Studiengangs benennt zugleich die Schwerpunkte: Interdisziplinäres Nachhaltigkeitsmanagement. Es ist ein interdisziplinärer Studiengang, der Fokus ist Nachhaltigkeit, und es geht um Management. Management im Sinne von Management von Prozessen, die die sozialökologische Transformation befördern, also Nachhaltigkeitsprozesse zu managen.
Es sind Studierende aus allen Disziplinen, die sich in diesem Studiengang wiederfinden und die praktisch damit eine Zusatzqualifikation erlangen in Richtung Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeitspolitik spielt eine wichtige Rolle, aber nicht nur. Wir haben eine interdisziplinäre Zusammensetzung, das betrifft auch die Fächer. Wir haben bspw. Module wie naturwissenschaftliche Grundlagen der Nachhaltigkeit, sozial-ökologische Transformation sowie interdisziplinäre Forschungsmethoden und führen quasi die verschiedenen Disziplinen zusammen mit diesem Ziel: Management von Nachhaltigkeitsprozessen. Das bedeutet auch, das Berufsfeld wird entsprechend vielfältig sein und die Studierenden werden gebraucht in diesen Zeiten des sozial-ökologischen Umbaus.
Das Studium beinhaltet zentral ein Projektstudium und in diesem Projektstudium wird es genau darum gehen, Lösungen für komplexen Problemlagen praktisch zu ermitteln und umzusetzen. Das heißt, es gibt im ersten Semester ein Modul Projektvorbereitung, in dem die Projekte entwickelt werden. Im zweiten Semester gibt es drei Module, die für das Projektstudium vorgesehen sind. Diese Projekte führen wir zusammen mit Praxispartner:innen durch.
Ein Projektpartner, der auch in der Ringvorlesung zu Gast war, ist Philipp Metz. Er ist der Initiator eines sehr interessanten Projektes einer Bürgerinitiative in der Humboldtstrasse, die ihre Wärmeversorgung kollektiv aus Erdwärme gewinnen will. Die Umsetzung eines solchen Projektes hat - und das ist wirklich sozusagen der Klassiker – verschiedene Anforderungen. Da gibt es die technische Seite: Was ist überhaupt Erdwärme und wie kann ich die erschließen? Welche Probleme kann es bei der Versorgungssicherheit geben? Was muss bei den Anschlüssen beachtet werden, etc.? Dann gibt es die verwaltungsorientierte Seite. Da müssen Kontakte zur Politik und zur Verwaltung aufgebaut warden, denn es braucht bspw. Genehmigungen und Förderanträge. Dann geht es um die Frage, wie die weitere Organisation aussehen kann und wie die Öffentlichkeitsarbeit gestaltet werden kann. Bisher wurde ein Verein gegründet, perspektivisch soll es eine Genossenschaft werden. Wie organisiere ich eine Genossenschaft? Wie sehen mögliche Finanzierungskonzepte aus und wie baue ich bspw. einen Handwerker Pool auf?
Und und und... also ein sehr komplexes Projekt, was wirklich super ist. Mittlerweile gibt es auch noch anderen Erdwärmeinitiativen in Bremen. Wir reden gerade ganz konkret darüber, dass wir zwei Projekte mit unseren Studierenden und mit den Initiatoren des Projektes Erdwärme Humboldtstraße durchführen. Das Thema ist politisch hochaktuell und passt sehr gut in den Themenbereich Wärmewende, der in der Bremer Klimastrategie eine wichtige Rolle spielt.
Genau, und sie lernen sozusagen auch mit den verschiedenen Disziplinen umzugehen und mit dem unterschiedlichen Wissen, das sie mitbringen. Wir haben Studierende aus der Stadtplanung, wir haben Studierende, die aus der VWL kommen, wir haben eine Studentin, die kommt aus der Biotechnologie, die bringen ihr Know-How mit und ergänzen das dann durch die anderen disziplinären Know-Hows, die im Projekt gefragt sind. Es hat auch gut geklappt, dass wir im ersten Durchgang des Masters ein gutes Spektrum an Disziplinen vertreten haben. Und es ist auch sehr spannend, auch für mich, jetzt mit Studierenden aus ganz anderen Disziplinen zu arbeiten.
Genau, sie gehen anders an die Dinge heran. Das ist auch eine Herausforderung, diese unterschiedlichen Herangehensweisen auch erstmal zu verstehen. Verschiedene Disziplinen haben verschiedene Sprachen, haben verschiedene Denken, verschiedene Perspektiven, und das ist dann auch das, was im Berufsfeld gefordert sein wird.
Auf jeden Fall! Dieser Studiengang ist ein Herzensprojekt für mich, weil er genau diese Bereiche zusammenbringt, sowohl den naturwissenschaftlichen als auch den politikwissenschaftlichen Zugang zum Thema Nachhaltigkeit, sowie weitere Disziplinen. Und da passt es auch fachlich sehr gut, da ich selbst interdisziplinär ausgerichtet bin. Ich freue mich sehr, dass wir diesen interdisziplinären Studiengang – trotz aller Schwierigkeiten, die es im Vorfeld gab – in diesem Semester beginnen konnten.
Zunächst muss man sagen, Bremen ist Vorreiter mit diesem Projekt, eine Klimaenquetekommission auf Landesebene gab es bisher in keinem anderen Bundesland. Das ist für eine Landesebene und defakto eine Zwei-Kommunen-Ebene schon super, was Bremen hier geleistet hat. Es waren viele renommierte Expertinnen und Experten in der Kommission. Die Kommission hatte ein straffes Programm und hat einen sehr differenzierten Endbericht verabschiedet. Das Wichtige aber: Es passiert auch was, es wird administrativ umgesetzt. Es gibt jetzt die sogenannte Fast Lane mit bestimmten Prioritäten, die gesetzt wurden, und eine neue Klimaschutzstratgie 2038. Bremen als armes Bundesland wird viel Geld in die Hand nehmen in Höhe von 2,5 Milliarden, um dieses Klimaschutzpaket jetzt auch umzusetzen.
Das ist erst mal ziemlich gut. Da kann man jetzt im Detail noch mal genauer hinschauen und es gibt auch Punkte, wo man sagt: Okay, da muss es noch mal konkreter werden. Da kann man auch noch mal andere Prioritäten setzen. Ein kritischer Punkt sit aus meiner Sicht, dass der Versorger SWB kein kommunaler Versorger ist, sondern ein privatwirtschaftliches Unternehmen, das ist ein kritischer Punkt in dieser Umsetzungsstrategie, insbesondere was das Thema Wärmewende und Ausbau der Nahwärmenetze betrifft. Aber was das Parlament getan hat mit der Enquete Kommission und jetzt mit der Umsetzungsstrategie, das ist schon eine gute Arbeit!
Auch in der Verkehrspolitik gibt es offene Diskussionpunkte und es gab Sondervoten. Interssant wird werden, welche verkehrspolitischen Schwerpunkte die neue Regierung setzen wird.
Ja, wir haben die Arbeit begleitet, das war wirklich exemplarische Lehrforschung. Mit dem ISPM, dem internationalen Studiengang Politikmanagement, haben wir die Arbeit der Kommission begleitet, konkret im Modul “Praxis der Politik” im siebten Semester in zwei Schwerpunkten in zwei aufeinander folgenden Jahren. Das heißt, wir haben Grundlagentexte mit den Studierenden gelesen, dann die Gutachten der Expert:innen angeschaut (und später den Endbericht) und daraufhin eine Bewertung des politischen Programms, der Strategien vorgenommen.
Am Anfang hatten wir auch Politiker:innen eingeladen, die uns über die Arbiet der Kommission berichtet haben, beispielsweise Martin Michalik, der Vorsitzender der Kommission war, oder Carsten Sieling als stellvertretender Vorsitzender. Darüber hat sich dann auch eine Zusammenarbeit mit den Politiker:innen etabliert. Das war eine sehr schöne Sache. Wir haben jetzt gute Kontakte in die Politik und hatten als letzte Aktion kurz vor den Wahlen eine Diskussionsrunde mit den Spitzenkandidat:innen der Parteien zur Bremer Klimapolitik. Die war meiner Ansicht nach auch gut gelungen, die Veranstaltung war gut besucht und wurde gemeinsam mit umweltpolitischen Gruppen organisiert. Das hat auch nochmal gezeigt, dass wir mittlerweile ganz gut verankert sind als Studiengang und als Personen und fachlich anerkannt in dieser wissenschaftlichen Begleitung, die wir in der Phase der Enquete Kommission und danach bzgl. der Umsetzung gemacht haben.
Ja, da kann man auch mal stolz sein.
Der Antrag hatte im Kern das Anliegen, dass eine Nachhaltigkeitsstrategie für die Hochschule erarbeitet werden soll; es wurde vom AS in der Sitzung am 25. April eine zunächst befristete Nachhaltigkeitskommission konstituiert mit einer paritätische Besetzung, was auch nicht selbstverständlich ist: zwei professorale Mitglieder, zwei wissenschaftliche Mitarbeiter:Innen und zwei Studierende. Die Studierenden sind super aktiv, sie haben den Antrag mitinitiert und mitunterstützt. Die Kommission wird Eckpunkte einer Nachhaltigkeitsstrategie erarbeiten. Wir werden erst mal sammeln, was gibt's alles an Initiativen? Es gibt ja etliche Projekte und Initiativen an der Hochschule und wir werden das systematisieren. Daraus werden wir dann strukturelle Vorschläge und Maßnahmen ableiten.
Was ganz wichtig ist und das zeigen auch die Erfahrungen von anderen Hochschulen, die bereits Nachhaltigkeitsstrategien haben, dass das Thema institutionell gefestigt werden muss. Es muss klar werden, wo ist die Zuständigkeit für Nachhaltigkeit in dieser Hochschule liegt und wie die Beteiligung der einzelnen Statusgruppen aussieht. Manche haben das in Konrektoraten verankert, das ist eine Idee, das muss aber nicht sein. Es gibt auch die Möglichkeit zusätzlicher Zuständigkeiten in den Fakultäten, wie bei den dezentralen Frauenbeauftragten. Green Office ist ein weiteres Stichwort. Viele Universitäten und Hochschulen haben sogenannte Green Offices, die offen sind für Studierende, die mit Anliegen und Projektideen kommen können, wo Dinge weiterentwickelt und zusammengefügt werden. Es gibt viele Aspekte, was die Institutionalisierung und das Zusammenfügen von Ideen und Initiativen betrifft. An der Hochschule gibt es schon einige Aktivitäten. So gibt es bspw. das Umweltmanagementsystem, das Projekt BreGoS, verschiedene Beispiele von Nachhaltigkeit in der Lehre oder das Projekt Clima Campus, das Steffi Kollmann initiiert hat und aus dem u.a. das Fahrrad Repair Café entstanden ist.
Also systematisch zusammenführen, institutionalisieren und daraus dann eine Nachhaltigkeitsstrategie für die Hochschule entwickeln.
Ja, so kann man es sagen, und sie wird und muss sich weiter auf den Weg machen. Nachhaltigkeitsstrategien werden zunehmend zu einem wichtigen Wettbewerbsfaktor.
Das Lieferkettengesetz, wo sollen wir da anfangen? Es geht um Menschenrechte in der globalen Lieferkette. Globale Lieferketten spielen eine immer wichtigere Rolle mit allen Fragen der sozialen Gerechtigkeit die damit verbunden sind.
Konkret zum Beispiel die Textilindustrie. Wir produzieren billig unsere T-Shirts und Hosen in Indien oder in Bangladesch, die werden dann hier verkauft, und die Menschenrechte in diesen Ländern werden mit Füßen getreten. Wir hatten kürzlich den 10. Jahrestag von Rana Plaza, der große Unfall in der Textilfabrik, wo viele entsetzlich zu Tode kamen oder schwer verletzt wurden. Die Arbeitsverhältnisse, die Arbeitsstandards sind ganz schlecht in diesen Fabriken und es werden keine existenzsichernden Löhne bezahlt. Das sind Zustände, die ganz, ganz schwierig sind und die eben von den Textil- und Handelsunternehmen bisher- ich würde sagen, nicht gezielt genug angegangen wurden.
Es gibt zwar die "social responsibility", die freiwillige soziale Verantwortung der Unternehmen und die EU hat dazu 2014 eine Richtlinie erlassen und eine Berichtspflicht für bestimmte Unternehmen eingeführt. Hier gibt es jetzt zwar eine Verschärfung dieser Richtlinie, aber es gab bisher über eine Berichtspflicht hinaus keine gesetzlichen Regelungen. In den Politikwissenschaften sagt man, das ist eine globale Regulierungslücke, denn die Unternehmen haben die Möglichkeit, im Rahmen der Globalisierung dort zu produzieren, wo es am billigsten ist, und da haben wir dann eben als Nationalstaat keinen Einfluss mehr.
Das Lieferkettengesetz zeigt jetzt aber ein Stück weit, dass es doch geht.
Nach langem Kampf von NGOs und Gewerkschaften wurde ein deutsches Lieferkettengesetz auf den Weg gebracht. Es ist zum 1.Januar diesen Jahres in Kraft getreten. Und in der EU wird gerade über ein Lieferkettengesetz verhandelt. Es gibt einen Richtlinienentwurf, der Anfang Juni vom EU-Parlament verabschiedet wurde und jetzt das Trilog Verfahren durchläuft. Da wird es eher schwieriger werden, weil sich einige Staaten dagegen wenden. Dieses Lieferkettengesetz wird dann hoffentlich dafür sorgen, dass es bestimmte Standards gibt, wie die ILO Kernarbeitsnormen, die dann verbidnlich eingehalten werden müssen.
ILO steht für die International Labor Organisation, sie setzt bestimmte Standards wie die Kernarbeitsnormen, beispielsweise Versammlungsfreiheit, Verbot von Kinderarbeit und Zwangsarbeit sowie Standards in der Arbeitssicherheit, und in den Annexes des Lieferketten Gesetzes, ist klar aufgeführt, welche Standards erfüllt werden müssen. Es wird dann Beschwerdeverfahren geben. Wenn im Rahmen von solchen Beschwerdeverfahren klar ist, dass die Standards nicht erfüllt werden, dann muss das Unternehmen entsprechende Strafen zahlen. Da sind im Moment im deutschen Liefergesetz Beträge von bis zu 8 Millionen Euro im Gespräch.
Ja, und was ja immer noch der Fall ist, beispielsweise im Textilbereich, aber auch in anderen Bereichen. Im Automobilbereich haben wir auch diese Problematik. Die Umstellung geht jetzt auf E-Mobilität, wir brauchen aber Nickel, wir brauchen Lithium für die Batterien. Diese Rohstoffe werden unter Umständen gewonnen, die unter Menschenrechtsgesichtspunkten sehr problematisch sind, und dazu kommt der hohe Wasserverbrauch. Von der Rohstoffseite her ist die Elektromobilität ganz, ganz kritisch zu sehen. Aber das würde in einem Lieferkettengesetz dann abgedeckt.
Aber auch hier wird gestritten um Fragen der Geltungsbereiche (Unternehmensgrößen, Hochrisikobranchen), Haftungsrecht, etc.
Interessanterweise schlägt die EU auch vor Klimaschutz und Klimaschutzziele in das europäische Lieferkettengesetz aufzunehmen. Das geht weit über das deutsche Gesetz hinaus. Damit geht es nicht nur um die soziale Seite, um Menschenrechte und um Arbeitsbedingungen, sondern Umweltschädigungen sollen -– und präventiv Klimaziele und Klimaschutz - mit ins Lieferkettengesetz aufgenommen werden. Damit wäre das Lieferkettengesetz wirklich ein Baustein, um sozialökologische Transformation im Rahmen der gesamten Lieferkette auch umzusetzen.
Ja, genau, auch die Gewerkschaften, nicht nur die NGOs, auch die Gewerkschaften, die internationalen Gewerkschaften, zusammen mit den NGOs haben sehr darum gekämpft und das ist wirklich auch ein Erfolg. Wie gesagt, das EU Lieferkettengesetz ist noch nicht durch. Wir hatten eine Diskussionsveranstaltung mit Joachim Schuster, dem Europa Abgeordneten, der sagte als Abschlusssatz: “Noch haben wir das Lieferkettengesetz nicht. Für mich ist die Hauptsache, dass wir es überhaupt bekommen, dass wir es durchbekommen, dass es nicht blockiert wird.”
Das Lieferkettengesetz ist natürlich nur ein Baustein, es ist nicht alles. Viele Forscher:innen sagen, wir brauchen eine andere Welthandelspolitik. Das ist klar, das Gesetz ist ein Baustein von vielen. Aber es ist ein wichtiger Hebel, der sich gerade bewegt.
So ist es.
Interviewerin: Dr. Monika Blaschke